Eine Reise ins Land der Mitte - Gedanken eines Busfahrers

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Wir fahren durch die Nacht. Die Fahrgäste haben es sich schon reichlich gemütlich gemacht. Manche plaudern, manche lachen, viele haben die Augen geschlossen, weil sie schlafen oder auch nicht. Jedenfalls ist gegen 1 Uhr nachts kein Entertainment mehr gefragt.

Ein Film läuft real vor dem Fenster ab: Lichter und Landschaften sausen an uns vorbei. Wir sehen sogar noch brennende Wohnzimmerlampen und flimmernde Kisten. Aber es bleibt dabei: Wir allein haben den spannendsten Film – einen Roadmovie – gewählt, obwohl so gut wie nichts in ihm passiert. Außer in unseren Köpfen.

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Unser Raum wird aufgrund der Dunkelheit immer kleiner, währenddessen unsere Gedanken in alle Richtungen schweifen. Wie die Autos, die nach und nach die Autobahn verlassen. Wir und wenige andere sind noch in Bewegung. Dennoch kehrt Ruhe ein: Auf der Straße, in den Gedanken und im Bauch - obwohl ich schon lange nichts mehr gegessen habe.

Nur ab und an trinke ich einen Schluck reines Wasser. Meine Konzentration ist beim Verkehr und bei der Kontrolle der Bewegung des Busses und seiner Instrumente. Und damit bin ich voll und ganz in der Gegenwart. Die Zeit, in der ich nicht einmal mehr Hunger spüre, scheint still zu stehen.

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In ihr dürfen Gedanken und Fahrgäste kommen und gehen. Ungezwungene Gespräche mit ihnen und meinen Gedanken haben jetzt ihre Zeit. Ich höre schlafende Fahrgäste und Chopins Klavierkonzert, fahre im Gefühl, zeitlos, bodenlos und endlos irgendwo auf der Erde unterwegs zu sein. Nur das, was jetzt ist, ist wirklich.

Das Busfahren hat etwas von einer Askese, die ein Weg zum Glücklichsein ist. Der Bus und seine Bewegung mit ihm ist für diese Zeit lang meine Mitte, das Busfahren wird zum Kreisen um mich selbst, zur Meditation – wenn uns keine schikanöse Polizeikontrolle oder ein sabotierender Keilriemen einen Strich durch diese Mitte machen ...