Hilfskonvoi für ukrainische Geflüchtete
Tagebuch eines Hilfstransfers im März 2022 an die slowakisch-ukrainische Grenze
Donnerstag 24. März
Ich fahre mit meinem Bus nach Freiburg zur Stadtmission, um Hilfsgüter für die Ukraine aufzunehmen. Wir laden ein, soviel wie geht: Unten im Kofferraum Desinfektionsflaschen und viele andere medizinische Dinge, oben Tüten mit Kleiderspenden, bis wir nicht mehr durch den Bus laufen können. Via SMS erhalte ich zwei Telefonnummern, die ich anrufe, um die Übergabe in der Slowakei zu klären. Ich tanke nochmal voll, fahre nach Bleibach und stelle den Bus ab. Dort laden wir noch Kuscheltiere, Decken und Wasserflaschen für die Heimfahrt.
Freitag 25. März
Frank, mein zweiter Fahrer holt mich frühmorgens ab und wir fahren nach Bleibach. Um kurz nach 8.00 Uhr fahren wir los: Im Konvoi mit 6 Kleinbussen, die hinter uns her huschen.
Auf der Höhe von Bühl platzt einer der Zwillingsreifen des Busses. Wir halten an und ich kündige an, dass wir in 40 Minuten wieder auf der Straße sind. So geschieht es auch. Den Stau in Pforzheim nehmen wir auch noch mit – die Reisegeschwindigkeit hat merklich an Tempo eingebüßt. Aber das macht uns nichts, obwohl noch etwa 1250 Kilometer vor uns liegen. Immer wieder machen wir eine (Kaffee-)Pause und irgendeines der Fahrzeuge wird betankt. Abends in Österreich beschließen wir, die Route zu ändern und fahren über Ungarn von Süden her nachts in die Slowakei.
Samstag 26. März
Gegen 3.30 Uhr erreichen wir Kosice, wo wir einen Teil unserer Hilfsgüter einem Ukrainer in seinen Transit umladen. Eine erste bewegende Begegnung mit einem Ukrainer, der sich wohl anschließend auf die Rückfahrt in sein Land begibt.
Wir erreichen um 6.00 Uhr unser Hotel in Kaluza an einem wunderschönen See, an dessen Ende uns Berge anschauen. Deren Grate bilden den Grenzverlauf zur Ukraine. Eine Naturidylle bei schönstem Wetter, die uns zugleich sehr nachdenklich macht: Hier ein Land im Frieden – dort eines im Krieg.
Wir frühstücken und legen uns schlafen. Anschließend treffen wir uns nach und nach an unseren Fahrzeugen, um sie für die Fahrt mit den Geflüchteten zu richten. Denn in Gedanken sind wir bereits bei ihnen. Auf den Sitzen sind Sitzerhöhungen und Kuscheltiere plaziert, Getränke stehen auch bereit. Außerdem kommt ein anderer Transit vorbei, der die übrigen Hilfsgüter übernimmt.
Dann um 14.45 Uhr letzte Absprachen, Antigenschnelltest gemacht und Motor an: Michalovce ist unser erstes Ziel. Am Stadion hat die Stadt ein Empfangszentrum aufgebaut, das wie ein Jahrmarkt wirkt. Es hat alles, was Geflüchtete benötigen wie Schlafraum, Essensbereich, Sanitäts- und Sanitärbereich, einen Stand mit Artikeln für Haustiere, auch daran hat man hier gedacht. In einem großen Zelt, das wir von Volksfesten kennen, können unzählige Menschen vorübergehend zur Ruhe kommen, Kinder können in einer Spielecke spielen und wir alle dürfen uns frei bewegen. Es wirkt wie ein Ort des Friedens und der Ruhe, auch für die Geflüchteten, obschon sie in Gedanken auf der Weiterreise sind. Viele von denen, die hier warten, nehmen nachher auch in unseren Kleinbussen Platz.
Frank und ich fahren derweil weiter mit dem großen Bus hinüber nach Kosice, wo sich ein weiteres Auffangzentrum befindet. Auch dort hat es große Ruhe und eine Gruppe richtet sich für die Fahrt in unserem Bus. Während wir warten, kommen aus dem Bahnhof weitere Geflüchtete. Da wir Leuchtjacken anhaben, sprechen uns Geflüchtete an. Wir zeigen ihnen den Weg und werden einige nachher im Bus wieder begrüßen. Es ist ein komisches Gefühl, zu erleben, wie viele einfach von und zum Bahnhof gehen, weil sie hier wohnen und leben und andere wie aus einer anderen Welt mit etwas Gepäck (auch die Kinder tragen etwas, sonst hätte die Familie zu wenig dabei) und wenig Kraft vorbeilaufen.
Später beginnt das Einsteigen, das mit viel Ruhe geschieht. Wir wiederholen ständig, dass alle mitkommen können. So bleibt die Situation ruhig. Noch gegen Ende – wir sind schon im Aufbruch begriffen – kommen weitere Ukrainer aus dem Bahnhof, zuletzt sogar eine 9-köpfige Familie. Auch diese nehmen wir noch mit. Später erfahren wir, dass diese Familie seit 4 Tagen von Kiew kommend auf der Flucht ist.
Um 20.15 Uhr verlassen wir Kosice und verbinden nun mit unserer langen Fahrt das Ende der angstvollen Flucht mit der Ankunft im Gastland. Nach einer Begrüßung durch uns auf Russisch und Ukrainisch fühlen sich die Gäste aufgehoben und fallen in einen tiefen Schlaf. Nachts halten wir in Ungarn und Österreich immer wieder zum Fahrerwechsel und wegen des Toilettenbesuchs an, auch versorgen wir die Schlafenden mit Decken, die wir aus allen Fahrzeugen zusammenkratzen, weil wir aus Versehen eine Tasche mit Decken als Kleiderspende abgegeben haben. Doch am Ende reicht es für alle.
Sonntag, 27. März
Im Bus breitet sich eine große Ruhe aus und wir rollen durch die Nacht. In Deutschland halten wir an der ersten Raststätte an. Wir sind erleichtert, alle Fahrgäste wachen auf und schauen sich um. Das Personal von der Tankstelle bitten wir, die Toiletten kostenfrei zu öffnen, da wir ukrainische Geflüchtete fahren, die ohne Euro unterwegs sind. Man entgegnet uns, dass es auch in Deutschland arme Leute hat. Verblüfft über diese Haltung zahlen wir die Toiletten aus unserem eigenen Geldbeutel. Am Bus bekommen die Geflüchteten anschließend einen soeben gekochten Kaffee. Wir freuen uns miteinander, etwas Warmes in der Hand zu haben und uns nun bei Tageslicht anschauen zu können.
Ab sofort ist es in den Bussen sehr lebendig, Kinder haben Malbücher und Bilderbücher in der Hand, die Erwachsenen plaudern miteinander. Immer wieder machen wir Rast und machen unterschiedliche Erfahrungen mit der Hilfsbereitschaft des Raststättenpersonals und den Menschen, denen wir begegnen. Ein erster Vorgeschmack auf die Vielfalt an Meinungen in unserer Gesellschaft.
Schließlich kommen wir nachmittags in Bleibach an. Einigen der Geflüchteten ist es ein Anliegen, sich persönlich von uns Fahrern zu verabschieden, obschon sie wie alle anderen hungrig und erwartungsvoll die vorübergehende Bleibe aufsuchen und einen Platz für sich finden möchten. Sie sind willkommen. Und doch wissen wir alle, dass zwischen uns Deutschen und den ukrainischen Gästen nicht alles reibungslos verlaufen wird.
Wichtig zu wissen: Es sind allesamt ukrainische Bürger/innen, die auf der Flucht in unsere Busse gestiegen sind. Eine Organisation vor Ort (www.mission-lifeline.de) hat die Identität per Passkontrolle genau geprüft, wie sie auch mich überprüft haben, ob ich ein richtiges Unternehmen bin. Und wir haben bereits während der Fahrt erleben dürfen, wie dankbar und respektvoll sie aufgetreten sind.
Von einigen weiteren Fahrgästen verabschiede ich mich nun ebenso persönlich und fahre dann den Bus dorthin, wo er 2900 Kilometer zuvor aufgebrochen ist – und merke, dass unsere Aufgabe eigentlich erst jetzt beginnt: Die Fahrt war nur ein kleiner Auftakt für die Zeit, die wir Europäer nun miteinander verbringen werden. Wir werden uns kennenlernen, unsere Gäste womöglich sogar die deutsche Sprache erlernen – und wir dann auch Ukrainisch. Schauen wir mal – am besten nach vorne.
Ein paar Fakten: Hilfstransfer vom 25. bis 27. März 2022 / Fahrt mit einem Großbus und 6 Kleinbussen, gefahren von 15 Ehrenamtlichen / Sprit- und andere Kosten der Fahrzeuge, die von Firmen nahezu kostenfrei zur Verfügung gestellt werden, werden durch Spenden finanziert / 2900 Kilometer Gesamtstrecke / Abholpunkt an den Aufnahmezentren Michalovce und Kosice in der Slowakei / Circa 80 Geflüchtete, davon der größte Teil Frauen mit Kindern / alle Geflüchteten haben die ukrainische Staatsbürgerschaft / Organisation dieser Fahrt: Uli Hartmann in Zusammenarbeit mit der Gemeinde Bleibach und dem Hilfswerk „mission lifeline“.